Perspektive
zur Debatte vom 16. Juli 2021Echokammern, Shitstorms, Hate Speech: Sind soziale Medien eine Gefahr für die Debattenkultur?
Das Problem auf das Medium abzuwälzen, greift zu kurz
Die Perspektive in 30 Sekunden
Fraglos weise die derzeitige Debattenkultur in den sozialen Netzwerken problematische Tendenzen auf, räumt Journalist Nils Markwardt im PHILOSOPHIE MAGAZIN ein. Das gehe von mangelnder Ambiguitätstoleranz bis hin zu handfester Hassrede. Diese Probleme allerdings allein dem digitalen Wandel zuzuschreiben, geht Markwardt entschieden gegen den Strich.
Die Debatte habe sich zwar in die sozialen Netzwerke verlagert, wo sie pluraler und vielschichtiger geführt werde. Dass sie dadurch plötzlich roher geworden sei, bezweifelt der Autor. Eine Zeit, in der „gesellschaftliche Diskurse irgendwie viel versöhnlicher, fluffiger und konsensorientierter gewesen“ seien, habe es nie gegeben. Debatten seien früher mindestens genauso verbissen, oft sogar noch militanter geführt worden. Das sei auch kaum verwunderlich, da in der Nachkriegszeit „Kommunisten auf kalte Kapitalismuskrieger, Altnazis auf Remigranten, liberale Fortschrittsgläubige auf ultrakonservative Reaktionäre“ getroffen seien.
Und auch das Narrativ von der digitalen Filterblase hält Markwardt für falsch. Filterblasen gebe es in analogen Freundeskreisen wahrscheinlich noch viel hermetischer, wo man nicht nur ungefähr dieselben Haltungen teile, sondern meist auch aus derselben sozialen Schicht komme. Vielmehr komme es in den sozialen Medien zum „permanenten Filter-Clash“: Als Teil einer bestimmten Community werde man verstärkt mit anderen Meinungen und Haltungen konfrontiert.
Anmerkung der Redaktion
Nils Markwardt ist Journalist und Buchautor. Er ist Redakteur im Ressort Politisches Feuilleton der ZEIT. Dort schreibt er schwerpunktmässig über Geisteswissenschaften, Debatten und Sachbücher. Der studierte Literatur- und Sozialwissenschaftler hat auch für den FREITAG und das PHILOSOPHIE MAGAZIN geschrieben. 2016 hat er das Buch „New Deal, bitte! Reden über die Flüchtlingskrise“ veröffentlicht. Darin bemängelt er Europas Erzählproblem im Zusammenhang mit Geflüchteten. Seiner Meinung nach werden Gesellschaften „durch Erzählungen erzeugt, zusammengehalten – und auch wieder entzweit“.
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