Perspektive

Ist es klug, die AfD kategorisch von der Regierungsbildung auszuschließen?
Die AfD wird nicht harmloser, nur weil sie in einer Regierung sitzt
Die Perspektive in 30 Sekunden
Eine gängige These besage zwar, die AfD werde sich in Regierungsverantwortung selbst entzaubern, indem sie ihre Unfähigkeit beweise. Livia Gerster sieht das nicht so. „Das ist nicht nur gefährlich, sondern entbehrt auch jeder Grundlage“, schreibt die Redakteurin bei der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
Denn wer die AfD wähle, erwarte gar nicht, dass diese seine Probleme löse, behauptet Gerster. Auch warnt sie davor, immer die eigenen demokratischen Maßstäbe an die AfD anzulegen. Überführen lassen sich laut Gerster nämlich nur jene, die willens seien, die Spielregeln einzuhalten. „Wer seine Macht auf Lügen und Hass stützt, an dem prallen Skandale ab“, gibt die FAZ-Redakteurin zu bedenken und fragt sich: „Möchte man ausprobieren, was passiert, wenn man so jemanden in die Regierung holt?“
Vor hundert Jahren sei dieses Experiment in Thüringen schon einmal gescheitert. Damals haben Bürgerliche zum ersten Mal Rechtsextreme an der Macht beteiligt. Später habe man auch geglaubt, man könne Hitler in der Regierung zähmen. Anders als damals kenne man heute aber den Ausgang des Experiments, so die FAZ-Redakteurin. Daher warnt sie: „Sind Rechtspopulisten erst an der Macht, versuchen sie überall, die Institutionen auszuhöhlen. Wer sie trotzdem einbinden will, macht nicht sie, sondern sich selbst klein.“
Anmerkung der Redaktion
Livia Gerster ist Politikredakteurin in der Sonntagszeitung der FAZ und Moderatorin beim „FAZ Podcast für Deutschland“. Im Herbst 2022 erschien ihr Buch über „Die Neuen“ im Bundestag. Ihr Fokus sind gesellschaftspolitische Reportagen und Porträts von Menschen aus „dem Innenraum der Macht“. Zuvor war sie im Rahmen eines praktischen Jahres an der Deutschen Schule in Abu Dhabi und beim ZDF in Paris. Gerster hat Arabistik und Geschichte in Leipzig und Berlin mit Stationen in Cádiz, Beirut und Jerusalem studiert.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (FAZ) ist eine deutsche überregionale Tageszeitung. Sie ist 1949 gegründet worden und wird zu den deutschen Leitmedien gezählt. Dies sind Medien, die einen besonderen Einfluss auf die öffentliche Meinung und auf andere Massenmedien ausüben. Laut Eigenangabe steht die FAZ „für den Erhalt und die Stärkung der demokratischen Ordnung und der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland“. Die Zeitung gilt als liberal-konservatives Blatt. THE EUROPEAN schreibt über die „drei Gesichter“ der FAZ: Sie habe einen eher konservativen, staatstragenden Politikteil, ein linksliberales Feuilleton und einen liberalen Wirtschaftsteil. Die verkaufte Auflage der Zeitung lag im zweiten Quartal 2025 bei rund 334.000 Exemplaren (IVW) und hat im Vergleich zum vorigen Quartal leicht abgenommen. Die Printauflage der Zeitung ist allerdings seit Jahren rückläufig. Laut der Plattform Similarweb, die Statistiken zum Nutzerverhalten bereitstellt, hatte der Webauftritt der FAZ – FAZ.NET – im Oktober 2024 rund 34,4 Millionen Besucher:innen zu verzeichnen.

