Perspektive

Ist unser demokratisches System noch stabil?
Keines der Horrorszenarien ist bislang eingetreten
Die Perspektive in 30 Sekunden
Weimar 2.0? Staatskrise? Tod der Demokratie? Für Julia Emmrich wird der Zustand Deutschlands mit solchen Bezeichnungen schlimmer gezeichnet, als er wirklich ist. Die stellvertretende Politikressortleiterin bei der BERLINER MORGENPOST ist vielmehr der Ansicht: „Die deutsche Demokratie ist robust.“ Dabei verweist sie darauf, dass keines der zuvor für möglich gehaltenen Horrorszenarien bisher eingetreten ist.
Dazu zählt Emmrich etwa Erdrutschsiege für die populistischen und extremistischen Parteien bei den Landtagswahlen im Osten, Bündnisse zwischen BSW und AfD oder der Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke als erster Regierungschef der extremen Rechten. „Dazu eine Bundesregierung, die unkontrolliert auseinanderfliegt und das Land ins Chaos stürzt, weil niemand daran denkt, dass die Extremisten im Parlament nur darauf warten, dass die Machtverhältnisse ein paar Wochen lang unübersichtlich sind.“ Doch keines der Szenarien ist laut Emmrich eingetreten – denn trotz des Zusammenbruchs der Ampel-Koalition sei das Land auch nicht ins Chaos gestürzt worden. In Thüringen, Sachsen und Brandenburg sei es hingegen vielmehr gelungen, Regierungen an der AfD vorbei zu bilden. „Ob sie stabil sind, ob sie am Ende nicht die Ränder weiter stärken – das wird sich zeigen“, räumt Emmrich ein. „Das Signal aber war wichtig: Demokraten finden Lösungen.“
Entsprechend gelassen nimmt Emmrich auch das Aus der Ampel-Koalition und die bevorstehenden Neuwahlen. „Sicher, man hätte sich bei allem mehr Stil gewünscht“, so Emmrich unter Verweis auf die Streitigkeiten unter den Parteien. Eine robuste Demokratie könne harten Streit aber verkraften. „Das ist ihr Wesenskern, kein Krisensymptom“, hält die Politikredakteurin fest. Sie ist überzeugt: „Das Vertrauen in die beteiligten Akteure mag gesunken sein, die Demokratie als solche aber ist nicht beschädigt worden.“
Anmerkung der Redaktion
Julia Emmrich ist Journalistin und Buchautorin. Sie ist seit 2019 Vize-Politikchefin der FUNKE-Zentralredaktion in Berlin. Seit 2015 ist sie bei der FUNKE MEDIENGRUPPE. Zuvor hat Emmrich bis 2015 als Bundespolitik-Korrespondentin für die WAZ gearbeitet. Sie studierte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Sprachwissenschaften. Darüber hinaus studierte sie an der Ruhr-Universität Bochum Germanistik und Geschichte. 1999 begann Emmrich ihre journalistische Karriere bei der WESTFÄLISCHEN RUNDSCHAU. Dort war sie zunächst zwei Jahre lang Volontärin und anschließend für fünf Jahre Redakteurin im Bereich Kultur, Reportage und Region. Ihre regelmäßigen Kolumnen in der WAZ drehten sich um ihre Familie. 2008 und 2010 wurden ihre Kolumnen gebündelt in Buchform veröffentlicht, als „Familienbande“ (2008) und „Neues von der Familienbande: das zweite Buch zur erfolgreichen Kolumne in WAZ und WR“ (2010).
Die BERLINER MORGENPOST ist eine deutsche Tageszeitung aus Berlin. Sie gehört zur FUNKE Mediengruppe, die verkaufte Auflage lag im zweiten Quartal 2025 laut IVW bei rund 32.000 Exemplaren. Leopold Ullstein hat die Zeitung 1898 gegründet und verlegt, bis sie 1959 vom Axel-Springer-Verlag und 2014 schließlich von der Funke Mediengruppe gekauft wurde. Seit der überraschenden Absetzung von Christine Richter im Jahr 2023 fungiert der Journalist Gilbert Schomaker stellvertretend als Chefredakteur und Peter Schink als leitender Chefredakteur. Unter Richter wurde die MORGENPOST zu einer konservativeren Gegenstimme des eher liberalen Berliner TAGESSPIEGELS. Die BERLINER MORGENPOST finanziert sich über ein Abo-Modell und Anzeigen.

