Warum ein Freedom Day erst im Mai 2022 realistisch ist

Kekulé nennt Impfen in die Freiheit Illusion - und sagt, was uns wirklich bevorsteht
20.09.2021 4 Minuten Deutsch
FOCUS Alexander Kekulé
Originalartikel lesen ⭢

DIE PERSPEKTIVE IN 30 SEKUNDEN

Der Epidemiologe Alexander Kekulé glaubt nicht daran, dass das Ende aller Pandemiemaßnahmen bald bevorsteht. Das liege vor allem an mangelndem Vertrauen in die Verantwortlichen, wie er in seiner regelmäßigen Online-Kolumne für den FOCUS ausführt.

Ein „Impfen in die Freiheit“ hält Kekulé für eine Illusion. Ob man sich impfen lasse oder nicht, sei nämlich keine wissenschaftliche, sondern eine gesundheitliche und damit höchst subjektive Entscheidung. Wer für Vertrauen in die neuen Impfstoffe werben wolle, müsse deshalb selbst Vertrauen bei den Menschen genießen – insbesondere bei denen, die zweifeln oder noch unentschlossen sind. „Dass die Bundesregierung und ihre Berater in dieser Hinsicht bei einem Teil der Bevölkerung einen schweren Stand haben, ist nicht verwunderlich“, so Kekulé mit Verweis auf unterschiedliche Versäumnisse bei der Einschätzung und Bekämpfung der Pandemie.

Der Epidemiologe plädiert vor diesem Hintergrund dafür, in der bevorstehenden Erkältungssaison weiter auf die Methode „GGG plus Nachverfolgung“ zu setzen. „Auf dieser erfolgreichen Strategie, die in den meisten Bereichen ein halbwegs normales Sozial- und Wirtschaftsleben ermöglicht, beruht die derzeit günstige Inzidenz in Deutschland“, so Kekulé. „Wenn wir sie jetzt verlassen, riskieren wir erneute Schulschließungen und regionale Überlastungen der Krankenhäuser.“

Das zuzugeben, statt weiterhin Fehler als Erfolge zu verkaufen und die Illusion eines „Impfens in die Freiheit“ zu propagieren, könnte in den Augen Kekulés ein erster Schritt sein, um das Vertrauen in die Regierenden und ihre Berater zurückzugewinnen. „Wer sich gerne auf einen Freedom Day freuen und nicht enttäuscht werden möchte, sollte diesen sicherheitshalber erst für Ende Mai 2022 einplanen“, blickt Kekulé voraus. „Nach der bevorstehenden Erkältungssaison werden voraussichtlich genügend Menschen gegen das neue Virus immun sein, um nahezu alle Corona-Maßnahmen aufheben zu können.“

ANMERKUNG DER REDAKTION

Alexander S. Kekulé ist ein deutscher Mediziner, Epidemiologe, Biochemiker und Publizist. Seit 1999 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Medizinische Mikrobiologie und Virologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle (Saale). Kekulés Forschungsschwerpunkte sind Infektionskrankheiten, biologischer Bevölkerungsschutz, Bioethik und Influenza-Pandemieplanung. 2020 wurde Kekulé unter anderem von Christian Drosten kritisiert. Drosten warf Kekulé vor, dass er zu wenig wissenschaftlich veröffentlichen würde. Kekulé begründete dies mit einer mangelnden finanziellen Ausstattung seines Instituts. Trotzdem hat Kekulé als Erstautor mehrere Artikel in der renommierten Fachzeitschrift NATURE veröffentlicht. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit publiziert Kekulé zu gesellschaftlichen und ethischen Aspekten der Naturwissenschaften. Seine Beiträge erschienen unter anderem in der ZEIT, dem SPIEGEL, der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, dem FOCUS und der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN. Seit 1999 schreibt er im TAGESSPIEGEL die Kolumne „Was Wissen schafft“.

Der FOCUS ist ein wöchentlich erscheinendes deutsches Nachrichtenmagazin. Er wurde 1993 vom Hubert Burda Verlag als Konkurrenz zum SPIEGEL gegründet. Das Magazin erschien zuletzt in einer verkauften Auflage von rund 237.500 Exemplaren (1/2023) und gehört damit zusammen mit dem SPIEGEL und dem STERN zu den reichweitenstärksten deutschen Wochenmagazinen. Im Vergleich zum vorigen Quartal ist seine Auflage leicht gestiegen. Der FOCUS gilt dabei in seiner Ausrichtung im Vergleich zu den beiden Konkurrenzmagazinen als konservativer. Auch der Online-Auftritt des Magazins gehört zu den reichweitenstärksten in ganz Deutschland: Laut der Arbeitsgemeinschaft Online Forschung (AGOF) hatte FOCUS.DE im Oktober 2022 rund 24,6 Millionen Nutzer:innen zu verzeichnen. Das GOETHE-INSTITUT befindet, das Blatt vertrete eine wirtschaftsliberale Haltung und wende sich „mit vielen grafischen Darstellungen und farbintensiven Bildern insbesondere an Leser:innen mit weniger Zeit“. Wie viele andere Medien in Deutschland hat der FOCUS seit Jahren stark sinkende Verkaufszahlen zu verzeichnen: Anfang 2000 lag die Auflage noch bei knapp 811.000 verkauften Exemplaren.